„Ich werde nicht aufgeben, aber ich werde
die ganze Zeit fluchen!“ Dieser Bergsportler-
Spruch ist heute meine Parole des Tages. Der
Grün-Donnerstag ist ja noch kein hochheiliger
Feiertag, dafür komme ich vielleicht nicht in
die Hölle. Ich stapfe heute mit meinem Drachen
den Tegelberg hinauf. Dafür wird es schon lange
mal Zeit. Über 200 mal bin ich von diesem Berg
mit Hilfe der Seilbahn geflogen, aber nur ein-
mal zu Fuß rauf und einmal runter gelaufen.
An diesem zweiten Oster-Wochenende seit Ausbruch der Corona-Seuche meint die Regierungs-Scheffin,
schon heute mit einem zusätzlichen Ruhetag zu beginnen, sei eine gute Idee. Das finde ich auch, und
um etwaigen Diskussionen aus dem Weg zu gehen, reiche ich Urlaub ein, der auch gewährt wird.
Der DHV rät davon ab in die fliegerischen Hotspots zu reisen. Zudem hat die Tegelbergbahn zur
Zeit keine Gondeln. Also mache ich hier antizyklisch und ganz korrekt „Freiluft-Sport, allein
oder zu zweit“, mit dem gebotenen Abstand und habe große Ruhe. Der angesagte schwache
Wind aus Nordnordost ist für alle Fluggelände in meiner Reichweite im „wilden Westen“
Deutschlands schlecht. Außer für den Tegelberg, wo erfahrungsgemäß die legendäre
März-Thermik häufig erst im April kommt. So lautet auch die Ansage für heute. Und
mein Funfex ist ja schließlich der „Bergsteiger-Drachen“, den andere auch schon auf viel
höhere Berge hinauf gebuckelt haben, wie etwa den Monte Cristobal Colon in Kolumbien.
Ein bisschen Vorarbeit und Ausprobieren an kleineren Buckeln war schon vonnöten,
denn es gilt ein paar Dilemmata zu lösen: Finsterwalder bietet einen Kurzpacksack
mit Rucksack-Schlaufen an. Leider kann man mit dem kaum laufen, weil das untere
Ende bei jedem Schritt in die Kniekehlen stößt. Außerdem passt allenfalls ein Knie-
hänger-Gurtzeug ohne Retter mit in den Sack. Der Helm soll dann wohl auf den Kopf?
Ich wähle eine andere Lösung: ein Gurtzeugpacksack mit Hüftgurt enthält Gurt, Retter,
Helm, Vario, Räder und ein trockenes T-Shirt. Der 2-m-kurzgepackte Fexi bekommt
zwei lange Tragschlaufen und liegt quer obendrauf, balanciert mit beiden Händen, so
kommt das gesamte Gewicht gleichmäßig verteilt auf Schultern und Hüften. In der
Morgen-Kühle und im Tegelberg-Schatten stapfe ich gemächlich über die Skiabfahrt
los, und mir wird nicht einmal warm dabei. An der Rohrkopfhütte erreiche ich die
Sonne und brauche die zweite Pause. Böse Überraschung, ab hier geht es weiter hin-
auf über festen Altschnee. Drei Schritte vor und zwei wieder zurück? Nicht ganz. Am
Rand der Skipiste und im Schatten ist der zum Glück gut begehbar, und auch zum
Einsinken ist er noch zu fest oder nicht tief genug. Bei meiner dritten Pause überholt
mich ein bekanntes Gleitschirmflieger-Pärchen und verordnet mir ein Sauerstoff-Zelt.
Nach vier Stunden oben angekommen, treffe ich einige weitere robuste
Gleitschirm-Piloten. Einer aus der Akro-Fraktion kommt, bis ich ausge-
schnauft habe, und mein Drachen aufgebaut ist, zum vierten Mal hoch gespurtet.
Ich kenne den Tegelberg und seine tückische thermische Mittagspause gut genug,
um mich heute in stoischer Geduld zu üben. Außerdem gibt es hier oben sogar
„Suppe-To-Go“. Noch selten hat mir ein heißes Süppchen so gut geschmeckt.
Um halb drei starte ich, weil schon einige Gleitschirme hoch über Start schweben.
Direkt vor der Rampe kann ich einkreisen und es geht hoch. Nach zwei Minuten
bin ich auf Höhe Branderschrofen-Gipfelkreuz, nach vier Minuten kreise ich im
Gipfelbart. Der versetzt in Richtung Plansee, der noch zugefroren und schnee-
weiß ist. Die Bergwelt von Zugspitze bis Parseierspitze spannt das großartige
Panorama für mich auf und glitzert weiß in der strahlenden Sonne. Der Bart
versetzt Richtung Kenzen-Gebiet. Über Hochplatte und Krähe erreiche ich
die Wolkenbasis und knacke die 3000 m MSL Marke. Ich folge dem Grat
ein wenig nach Osten, weil da eine weitere einladende Wolke hängt,
aber die zieht nicht, und so kehre ich zurück in sicherere Gefilde.
Auch am Schönleitenschrofen kann ich zusammen mit mehreren
Gleitschirmen noch einmal schön aufdrehen. Dann kommt eine
größere Cirrus-Decke und das Steigen wird schwach. Eine
Chance sehe ich noch in einer Wolkenstraße, die aus Roß-
haupten über den Forggensee herüber reicht. Ich fliege sie
an und kann über der Waltenhofener Halbinsel-Spitze noch-
mal ein paar Höhenmeter gut machen. Weiter raus finde
ich aber nichts mehr, und komme nun tief genug zurück,
um über dem freien Landeplatz mit ständig wechselnder
Windrichtung eine Landeeinteilung zu zaubern. Am
Ende entscheide ich mich für die Wintervariante „mit
Rückenwind bergauf“ und kann die Landung auslau-
fen, ohne auf den Bauch und die Räder zu müssen.
Erschöpft, aber sehr zufrieden klingt der Tag aus, bis
uns die angedrohten Schauer spät abends erreichen.
Weil es so schön war, hatsche ich am nächsten Tag
auch noch auf den Buchinger Buchenberg. Das aber
mit einem Drachen, der 5 kg leichter ist, als der Funfex.