Flug ohne Vario

Es ist wieder mal typisch. WinDfried hat 10 Tage Fliegerurlaub und in ganz Europa ist das Wetter schlecht.
Ganz? Nein, ein kleines gallisches Dorf trotzt aufrecht allen Unbilden ...
Aber von Anfang: Mein gebuchtes Zimmer und sonstige Verabredungen am Tegelberg blase ich ab. Von meiner Urlaubsplanung bleibt nur noch eins übrig: Ich fahre so lange, bis ich die Sonne sehe. Über die Vogesen und den See von Annecy peile ich auf die Cote d´Azur. In Grenoble sehe ich zum ersten Mal die Sonne. Vom Hörensagen habe ich im Hinterkopf, in Laragne-Monteglin gebe es einen guten Flugberg und einen Campingplatz am Landeplatz. Auch Aspres und St. An- dré habe ich aus Erzählungen von anderen als verheißungsvolle Destinationen aufgeschnappt.
In Laragne auf dem Campingplatz findet sich ein Platz für mein Zelt mit Blick auf den Landeplatz. Die Sonne lacht aber zu dem Schlechtwetter in D, A und CH bläst hier ein Ausgleichswind aus Nord, genannt Mistral. Der ist stürmisch, dazu turbulent und fliegerisch ein Grund am Boden zu bleiben und mich einen Tag von der langen Auto- fahrt zu erholen. Das schlechte Wetter treibt Drachenpiloten aus ganz Europa hier her.
Von unten sieht der Startberg Le Chabre aus wie ein Mittelgebirgshügel mit einem Kalk- steingrat obendrauf. Um so erfreuter bin ich als das Vario über 700 m Höhe überm Landefeld anzeigt. Da hat man mehr als eine Chance nach Thermik zu suchen. Das Massiv erstreckt sich in Ost-West Richtung mit einem 10 km langen scharfen Grat. Hinauf führt eine Straße und ein „Navette“ genannter Shuttle-Bus. Oben gibt es zwei Startrichtungen S und N, die manchmal gleichzeitig von startenden Fliegern genutzt werden. Steinige Landeplätze gibt es im Gleitwinkelbereich in allen Richtungen.
Der komfortabelste Landeplatz am Campingplatz ist nicht ohne erflogenen Höhengewinn erreichbar.
Wenn die trockene Südflanke in der mediterranen Sonne backt, bildet sich spätestens ab ein Uhr zuverlässige Thermik aus, die man auch am Duft von Kiefern und Thymian erkennt.
Am Gipfelstartplatz gehen immer wieder Dust Devils durch und reißen Drachen und herumliegende Gegenstände in die Höhe. Zum Drachen fixieren sind Stahlringe im Felsen angebracht. Die Dusties kann man mangels Staub hier oben besser hören, als sehen. Wer zuerst einen bemerkt, ruft und rennt zu seinem Drachen. Dann hört man meist ein leises scharfes Pfeifen des rotierend aufsteigenden Luftwirbels.
Die Drachen werden hier noch lange die Mehrheit der Tuchflieger halten. Drachen fliegen hier von Bart zu Bart und von Berg zu Berg, Dreiecke von 100 oder 200 km. Die wenigen Gleitschirme sehe ich eher von Klapper zu Klapper fliegen. Beachtliche Strecken bringen sie dabei allerdings auch zusammen.
Dass hier die Drachen WM 2009 stattfinden wird, erfahre ich erst bei Ankunft am Ortsschild. Auf www.ozreport.com war lange zu lesen, dass keine Meldungen für einen Austragungs-Ort vorliegen würden.
Ich bekomme eine Woche mit sechs Flugtagen und vielen Flugstunden. Dabei ist Soaring in beide Richtungen und hoch- reichende Thermik, mal blau mal an gewittrig auftürmenden Cumuli.
Die Geschichte, die ich hier genauer berichten will, hat mit Technik zu tun. Eigentlich gehöre ich zur Pro-Vario-Fraktion. Die Diskussion ob und wann man ein Vario und sonstige Bordelektronik braucht, ist alt, hat viele Argumente und ist wohl nur individuell zu entscheiden. Meine persönliche Meinung ist, man braucht ein Vario früh, um am Feedback zu erkennen, wie sich Steigen anfühlt. Gerade bei uns im Mittelgebirge unter schwachen Bedingungen kann man sonst echtes Steigen nicht von verringertem Sinken unterscheiden und steht ganz schnell am Boden, während die anderen im Aufwindband und oben bleiben.
Am viel versprechenden Samstag stehe ich mit dem Saphir 17 in guter Gesellschaft von über 30 anderen Drachen am Startplatz. Ich mache mich fertig und will mein Vario einschalten. Schock! Es ist noch an. Seit gestern. Und der Akku ist total leer. Knurrend packe ich es weg. In der Absicht runter zum Landeplatz zu fliegen, bewege ich mich in die Startreihe. Ich bekomme noch mehr Grund mich zu ärgern. Ein "Starthelfer" hindert mich daran meinen Drachen um- zudrehen. Drei Turmlospiloten drängeln sich an mir vorbei. Der erste startet zügig. Der zweite verzögert. Der dritte verweigert den Start und trödelt ewig herum, weil er sieht, dass seine zwei Kollegen nicht gleich hoch kommen.
Ich fluche laut herum, in der Hoffnung, dass man mein Deutsch nicht versteht und marschiere mit dem Nasenbär samt Windlast im Kreuz rüber zum Gleit- schirmstartplatz. Da ist gerade niemand. Dort starte ich unverzüglich und fliege zum Possen unter dem Drachenstart durch. Jetzt müssen die mal auf mich warten, die Drängler ... Außerdem habe ich dahinter im Hausbart vorher etliche Drachen zum Grat aufsteigen sehen. Ich habe Glück und auch mich trägt es hinauf.
Dann fliege ich den Grat entlang Richtung Campingplatz. Doch es rupft am Steuerbügel. Und dann sehe ich den Berg unter mir versinken. Versuchsweise fliege ich große Kreise und kann mich tatsächlich hocharbeiten. Ein Weilchen will ich den unverhofften Flug-Genuss doch auskosten und schaue mich um, wo andere Drachen kurbeln. Dann benutze ich halt deren Varios mit. Mutig geworden fliege ich zum Gipfelbart zurück. Sogar da finde ich hinein und werde mit einigen anderen Drachen bis an die Wolke befördert.
Wenn ich aus einem Bart herausfalle, erkenne ich es daran, dass es mir den Drachen auf die Flügelspitze oder Nase stellt. Wo der Bart steht, erfühle ich an der Seite, auf der es mir den Flügel hebt. "Lenk in die andere Richtung, in die der Drachen bockt!" ist der Imperativ des Tages. Sogar die komische Situation ergibt sich, dass ein Gleitschirm und zwei Drachen auf mich zufliegen, weil sie mich steigen sehen, trotz Fühlflug.
Nach guten zwei Stunden habe ich genug und gehe Landen. Da habe ich ganz unverhofftes Flieger-Glück geschenkt bekommen. Abends höre ich von Sieben-Meter-Bärten und einer Basis bei 3300m. Ich kann da nicht mitreden ...
Mein Fazit: Es geht unerwarteterweise tatsächlich ohne Vario. Wenn überall Hammerthermik im Weg steht. Aber nur, weil ich zuvor über 100 Flüge mit diesem Drachen MIT Vario hatte und genau weiß, was sich wie anfühlt.
Am nächsten Tag fliege ich turmlos mit Vario und GPS und dem ganzen anderen high-tech Kram und saufe trotzdem nach einer Viertelstunde kläglich ab.
WinDfried (Samstag 11. August 2007)