Erst Gusti, dann Treh

Ein strahlender Morgen ohne Wind grüßt uns nach kurzer, bequemer Nacht. Ein willkommener Kontrast zu dem Ohrensausen gestern.
Eine fette Talinversion lässt für den Morgenabgleiter, zu dem wir aufbrechen, nichts grö- ßeres erwarten. Wir fahren an die Sonne und die scheint am Südosthang des Gustiberges.
Das ist ein unscheinbarer Vor-Buckel des Drumont-Massivs. Aber die vereiste Straße nach ganz oben wollen wir uns nicht noch mal
rauf kämpfen. Auch der Gusti bietet satt über 500 m Höhe bis zum Landeplatz. Drachen werden hier eher selten gesehen, weil man von einem der Parkplätze ein ganzes Stück zur idealen Startwiese hinauf laufen muss.
Unter meinem Flügel ist die Ferme Auberge Gustiberg abgelichtet, wo man in der Weide- saison lecker Essen und trinken bekommt. Fliegerautos sind auf dem Parkplatz dort allerdings nicht gerne gesehen. Dort sollen ja die Hausgäste Platz finden.
Guido hilft beim Drachen-Schleppen, obwohl er unter seinem Gleitschirm-Packsack mehr schnauft, als ich. Danke.
Natürlich ist er schneller startfertig. So übernehme ich den ersten Fahrdienst. Später taucht auch zahlreich die deutsche Gleitschirmszene auf, und wir bilden Fahrgemeinschaften.
Als ich - wieder oben - mit meinem Drachen starten will, ist ein ganzes Rudel einer „halben“ Flugschule da. Drachen-Piloten werden nicht ausgebildet. Ich will vorbildlich sein und Liegeprobe machen. Also frage ich laut in die Runde, ob jemand dabei wäre, der sich mit Drachen auskennt. Das nicht. Also frage ich, ob sich jemand für das Drachenfliegen interessiere? Mehrere Freiwillige. Na also, geht doch ! Ich erkläre, wozu die Liegeprobe da ist. Weil ich nicht angelabert werde „mit Drachen sei alles viel zu mühsam“ halte ich auch mein reiches Repertoire an guten Argumenten Pro-Delta zurück und bedanke mich nur artig für die Starthilfe und das Freihalten einer Startlaufstrecke von ab- und ausgelegter Gleitschirm-Ausrüstung.
Der Flug ist morgendlich. Ein bisschen zuppelt es schon. Aber da ist noch nichts, was wirklich Höhengewinn bringen würde. Stattdessen jage ich mit der Kamera meinen eigenen Schatten, wie manche Hunde ihren Schwanz.
Auch die Kirche von Urbés kann ich noch im Bild einfangen, bevor ich mich für den engen Landeplatz auf die Lande-Einteilung konzentrieren muss.
Die Franzosen sind noch nicht aus den Federn. Die achtern hier herunter. Das ist so üblich in Frankreich, führt aber immer wieder zu gefährlichen Momenten. Der preussische Gastflieger muss das einfach wissen und damit umgehen. Eine Ausbildung im Allgäu, die mit fest vorgegebenen Anflugrouten verwöhnt, hilft hier nicht weiter. „Vol libre“ heißt auch mehr Toleranz und Vorsicht, Umsicht, Rücksicht üben.
Die Luft wird mir zu schirmhaltig, als eine zweite Flugschule aufkreuzt. Ich drängele Guido zu einem Wechsel an den viel höheren und thermikträchtigeren Treh. Die weite Auffahrt dorthin ist mit „Le Markstein“ ausgeschildert. Der Nachbarbuckel im gleichen Massiv trägt ein Observatorium. Daher gibt es eine gut gepflegte Straße. Guido wird richtig sauer, als oben am Startplatz noch 90° Seitenwind herrscht. Unten sehen wir eine Menge Schirme am Gusti soaren. Beim ersten Hauch von vorne ist er weg.
Wenig später sehe ich einen anderen Schirm steigen und starte auch, bevor die Massen sich in die Lüfte erheben. Es trägt noch nicht und wir beide müssen nach kurzem Kampf zum Landeplatz (Bild). Guido war wieder schneller, hat inzwischen das Flieger- taxi ergattert und ist zu einem zweiten Versuch auf dem Weg zum Startplatz.
Er fliegt eine Stunde in sanfter Hang- thermik mit vielen anderen Gleitschirmen zusammen. Ich habe keine Lust mehr auf die erneute Hektik, hole das Auto und packe in Ruhe meinen Flügel. Zufrieden mit drei schönen Flügen von drei verschiedenen Bergen an einem Winter-Wochenende gondeln wir nach Hause. Ein Drachen- und ein Gleitschirm-Pilot sind ein gutes Gespann.
WinDfried (Sonntag 17. Februar 2008)