„Zu viel Wind gibt es nicht!“
Mit diesem Spruch
necke ich
oft
und gerne meine Gleitschirm-Fliegerfreunde.
Doch wo liegt das obere Limit mit dem Drachen?
Bei zwei Dritteln der zulässigen Maximalgeschwindigkeit
des Fluggerätes, sagt die Lehrmeinung. Für die meisten
Drachen wären das
rechnerisch 56
km/h. Was
das
bedeutet, sollte ich
heute zu
spüren bekommen.
Für dieses Wochenende
ist zu
Hause schlapper
Wind vorhergesagt. Und
großflächiges Luft-
massensinken im winterlichen
Hochdruck-
gebiet. Keine tolle Verheißung für schöne Flüge.
Im hohen Norden
sieht´s nach
mehr Wind aus.
SW am Samstag, NW am Sonntag.
Dazu fallen mir
Dünen in
den Niederlanden
ein.
Schon lange interessiere ich mich für´s Dünenfliegen.
An Meer und
Strand im
laminaren Wind
rumsoaren.
Neben dem Auto oder auf dem Sandstrand einlanden,
stelle ich mir
herrlich vor.
Manche fahren
dafür
1500 km zur Dune de Pylat nach Frankreich.
Ich versuche es
erstmal bei
den sym-
pathischen Nachbarn weiter
nördlich.
In Zoutelande sind die höchsten Dünen des Landes.
Der Blick reicht über die Schelde-Mündung bis nach Belgien.
Hier finde ich eine Idylle. Ein Campingplatz ist gleich hinter der
Düne mit Startplatz.
In der
Nähe auch
viele schöne
Hotels.
Oben ist eine perfekte Gitterrampe für Drachen (linker Bildrand).
Eine Infotafel zeigt:
viele Regeln
gilt es
hier zu
beachten.
Im Sommerhalbjahr darf
mit Rücksicht
auf die
Badegäste erst
am Abend ab 17 Uhr geflogen werden. Um nicht in das Meer zu fallen,
darf auch von 2 h vor bis 2 h nach Hochwasser nicht geflogen werden.
Nach einem Besichtigungs-Spaziergang messe ich mit dem Staudruck-
Röhrchen den Wind.
56 km/h,
Obergrenze,
hm.
Wenn nur
die
70er Böen nicht wären! Ich dachte Böen gibt’s an der See nicht ...
Mir fällt der
zerschellte Drachenflieger
vom Sylvestertag
2006
in Schrattenbach ein, wo Manni auch von 60 km/h berichtet hat ...
Ein Abflauen am
Nachmittag ist
angesagt. Viel
Zeit bleibt
nicht.
Nur bis 3
Uhr, um
5 ist
Hochwasser. Als
alter Optimist
trage ich
den Foil herauf und baue zögerlich auf. Schon das ist ziemlich mühsam
bei dem Gerappel
des Segels
in den
Leewirbeln hinter
der Kante.
Ein Spaziergänger hilft
mir, den
Drachen umzudrehen
mit der
Nase
Richtung Wind.
Eine geschlagene Stunde stehe ich eingehängt unter dem Drachen
und lausche dem Jaulen des Windes in der oberen Verspannung.
Eine ruhigere Phase
oder das angesagte Abflauen kommt nicht.
Irgendwann beschließe ich, einmal auf mein mulmiges
Bauchgefühl zu hören und hänge mich aus.
Keine 60 Sekunden
später flippt
der Foil
über, ohne dass
ich es verhindern könnte. In einem 1 ½ fachen Salto rück-
wärts geht er
in die
Büsche. Das Ergebnis ist abgebildet.
Ich bin gottfroh, dass ich nicht eingeh&üuml;ngt war,
als das passiert
ist. Sonst
hätte ich danach wohl
ärztliche Hilfe gebraucht.
Genau dort
habe ich
ihn
dann auch wieder auseinander genommen. In einem Stück
konnte ich ihn
gegen den
Wind nicht
mehr da
heraus hieven.
Als ich, saugrantig,
fertig bin
mit Einpacken, kommt ein einheimischer
Drachen-Pilot. Grinsend gibt er mir recht: Auch ihm ist der Wind zu stark.
Sein Drachen bleibt auf dem Auto. Und ich gehe wenigstens nicht als Verlierer
vom Platz. Mein
persönliches Limit
habe ich
heute zu
spüren bekommen.
Stattdessen lasse ich schön einen Lenkdrachen steigen. Der hing bei mir 6 Jahre im Keller,
weil ich nach
einmal ausprobieren
geglaubt habe,
er fliegt
nicht. Ich
hatte ihn
für zehn
DMark aus einer
Wühlkiste beim
billigen Jakob.
Jetzt weiß
ich, es
ist ein extremer
Starkwinddrachen, für 5 bis 7 Beaufort. Da fliegt so was schön, und ungefährlich.
Am nächsten Tag an einer anderen Düne ist dann typisch
Holland: Schilder „alles
Verboten“ -
Reiten, Surfen, Kiten,
Drachensteigen lassen. Und keiner hält sich dran. Der Zugang
zum offiziellen Hängegleiter-Startplatz ist abgeschlossen.
Als ich später Modell-Segler über der Düne in der Luft stehen sehe,
hält mich nichts mehr.
Ich baue auf und bringe die notwendig gewordenen kleinen Reparaturen an.
Wieder ist ein einziger holländischer Drachen-Pilot da. Er hilft mir beim Start,
hat aber selber keine Lust: zu viel Seitenwind. Ich habe 40 km/h gemessen,
etwa 30° von der Seite.
Ich bekomme einen
langen, unvergesslichen
Flug mit den Möwen,
nie höher als
100 m
über dem
Meer. Viele
freundliche Strand-
Spaziergänger winken mir zu und lachen, wenn ich zurück winke.