Ab kurz nach elf habe ich das Auto. Die Sonne lacht, die einzigen Wölkchen sind kleine Cumuli. Der Buchenberg würde wohl passen, aber ich habe ihn ein bisschen über. Soll ich was Größeres wagen? An den Wolken mache ich schwachen Ostwind aus. Da ist sie, die Versuchung. Hoch über Reutte wartet noch ein wun- derschöner Osthang auf die Befliegung. Der Aufstieg dahin ist mörderisch, aber ich fühle mich fit und voller Tatendrang. Ich parke in Wängle, denke, es müsste einen direkten Aufstieg zur Costarieskapelle geben, lasse mich von Schildern leiten und gerate auf die mir schon bekannte Straße zum Frauensee.
So ist das weitgehend eine Route über Forstwege, wahlweise über teilweise ziemlich kriminelle Abkürzungen, die ich mir heute verkneife.
Allmählich wird der Schnee tiefer, ich versuche einigermaßen das Tempo zu halten. Nach der Beschilderung soll es 2½ Stunden dauern, ich rechne vorsichtshalber mit einer Stunde mehr, dann müsste ich so kurz nach drei am Startplatz sein ... meine einzige Uhr ist das Handy, ich meine, ich hätte es noch auf Sommerzeit, bin mir aber nicht mehr sicher. Auf etwa 1450 m zeigt es kurz vor drei an - nach meinem Zeitgefühl könnte es echt so spät sein - ich rufe Gisela an - es ist erst kurz vor zwei.
Wo in etwa 1500 m der steile Pfad losgeht, brauche ich immer mehr Pausen. Ich weiß, ich kann über mich hinauswachsen, ich kann mich motivieren, meine letzten Reserven zu mobilisieren. Aber dazu bräuchte ich die Gewißheit der Fliegbarkeit.
Ich fühle Bergwind. Ich sehe den Gehrenspitzgrat und den offensichtlichen Südwind dort. Es könnte trotzdem noch irgendwie fliegbar sein. Aber irgendwie fliegbar in Kombination mit totaler Erschöpfung, da ist die Sicherheit äußerst fragwürdig. Ich kehre um.
Trotz Gewissheit auf stundelanges Abwärtsbuckeln - ich bin erleichtert und das gibt neue Kraft. Teilweise benutze ich jetzt die Abkürzungsspuren.
Als ich zur Costarieskapelle komme, sehe ich, dass es doch einen direkten Abstieg nach Wängle gibt - zunächst mit Geländer und Drahtseilsicherung. Nach wenigen Metern merke ich, dass ich diesem Weg heute nicht gewachsen bin - und steige wieder auf.
Also doch weiter Forstwege und Straße. Ab der Stelle, wo ich mir zutraue, mit dem Auto hinzukommen, lasse ich den Sack stehen.
Den Weg im Tal stapfe ich mit letzter Kraft.