Einen großartigen Ruf hat die landschaftlich wunderschöne Flugregion, die im Fliegerjargon „Annecy“
genannt wird. Auf
der Heimreise
wollen wir
die endlich
mal in
Augenschein nehmen.
Beim Namen
fangen auch schon
die Seltsamkeiten
an. Der
Landeplatz liegt
im kleinen Dorf Doussard am entgegen
gesetzten Ende des
Sees. Der Startplatz liegt auf dem Gemeindegebiet des Bergdorfes Montmin an einer
Stichstraße von der Passhöhe des Col de Forclaz. Die Regionalhauptstadt Annecy liegt im Dunst der Ferne.
In diesem Fluggebiet kann man erleben was passiert, wenn statt dem Gleitfliegen das Paragleiten bestimmend
für örtliche Mentalität
und Subkultur
geworden ist:
Es regiert
der Wahnsinn.
Gleitschirm-Tandems landen
in
der Bodenspirale und werden vom Landeplatzpublikum mit Applaus empfangen. Ein besonderer Paradepp zieht
im dichten Verkehr über dem Landeplatz noch ein paar Tumblings, was ebenfalls johlend bejubelt wird. Aus allen
Richtungen wird in
den Landeplatz
hinein geachtert,
obwohl auf
großen Infotafeln
klar definierte
Anflugrouten
vorgezeichnet sind. Der
einzige Drachen,
der die
Mitte des
Landeplatzes trifft,
bekommt dagegen
keinen Beifall.
Bei den Navettes geht es weiter. Keiner der Dutzend Minibusse hat einen Dachträger für Drachen auf dem Dach.
Doch, einer schon.
Aber der
transportiert nur
Tandemdrachen und
deren zahlende
Kundschaft. Zahlende
Freiflieger mit Drachen
würden wohl
stören. Wir
sind zum
Glück zu
zweit mit
zwei Fahrzeugen.
Die lange
Bergstraße zum Startplatz
ist ein
Alptraum aus
Kurven, Engstellen
und Schlaglöchern.
Die Para-Minibusse
rasen trotzdem wie
angestochen bei
Berg- und
Tal-Fahrt. Und
dabei geht
hier auch
noch der
normale
und landwirtschaftliche Verkehr
durch. Und
dann der
Fickfack mit
der Schranke
auf den
letzten 800
m
zum Startplatz. Gegen
50 € Pfand kann man sich auf einer ominösen Gemeindeverwaltung (am Wochenende
geschlossen) eine Chipkarte holen um die zu öffnen. Muß man aber nicht. Man kann auch warten,
bis ein
Shuttle-Bus kommt und sich dann in die Lichtschranke stellen, damit die Schranke offen bleibt.
Am Startplatz geht
es munter
weiter. Ein
halbes Dutzend
einfach und
doppelt besetzte
Schirme
eiern vor demselben
hin und
her, obwohl
die benachbarten
Hänge ebenfalls
offensichtlich tragen. Man wingovert
bis die
Flügelspitzen einklappen
und kann
die Lustoder Angst-Schreie
der Passagiere hören.
Ein Tandempilot
treibt es
mit den
tiefen Überflügen
über mein
halb
aufgebautes Gerät so
weit, dass
ich mit
freundlicher aber
bestimmter Stimme
„minimüm
Distance“ von ihm
einfordere. Verstehen
tut er
erst, als
ich mit
einer Segellatte
nach ihm
schlage. Es wird auch dann noch gestartet als die Regenschleier schon in der Talmitte sind.
Die Legende von
der "Backstein-Thermik"
(„…man kann
einen Backstein
vom Startplatz werfen, der fliegt auch…“) kommt mir mit Blick auf das kalte Wasser des Sees,
der andernorts üblicherweise
ordentliche Thermik unterbindet, auch fragwürdig vor.
Der Starthang ist jedoch nach West ausgerichtet, der häufigsten Windrichtung und
zudem der Ausrichtung
des Talwind
entsprechend. So
ist mein
Verdacht, dass
auch hier viel
mehr im
dynamischen Hangaufwind geflogen wird, als in Thermik.
Während wir aufbauen
frischt der
Wind ein
wenig auf
und reicht
nun auch
für
die Drachen zum
soaren. Im
Geradeausflug kann
ich mit
meinem Zefir
CX
wie eine Schnecke die Felswände hinauf kriechen, bis ich oben darüber schauen kann.
Leider hat sich der Himmel bald von blau nach grau verfärbt. Auf der
anderen Talseite bildet
sich erster
Regen aus
den quellenden
Wolken. Das
hindert die Drachentandems
und Gleitschirmsolos nicht, immer noch zu starten.
Mir wird das
bald zu
mulmig und
ich düse
zum Landeplatz.
Dort wird
inzwischen mit angelegten Ohren abgeachtert. Ein Aeros Drachen macht zweifelhafte
Werbung und liegt
Untersegel nach
oben, sodaß man die Aufschrift lesen kann.
Er stört nicht,
denn er liegt auf einer dem Landeplatz benachbarten Wiese. Die
aber ist immerhin
gemäht Auch
in anderen Nachbarwiesen (ungemäht) stehen
desorientierte Flugdrachen. Über dem Landeplatz geht es dann erstmal Minuten lang nicht
herunter. Da
bin ich
wohl in
irgendeine Konvergenz
geraten?
Kurz hinter zwei Gleitschirmen komme ich dann doch herunter. Dankenswerterweise nehmen die Piloten auf meinen Warnruf hin unverzüglich
ihre Kappen aus der Luft.
Mich bestätigt dieser Tag hier in der Maxime
„Massenaufmarschgebiete meiden!“.
Warum meine Vereinskameraden
schon lange zweimal
pro Jahr
hier her kommen,
ist mir
nun
ein noch größeres
Rätsel. Zum
Tegelberg ist die Fahrt viel näher.
WinDfried (Samstag 8. Juni 2013)
Anmerkung von Manfred
Um 1991 herum
war ich
mit dem
Drachen dort.
Von Massenbetrieb
konnte keine Rede
sein. Ein
einheimischer Gleitschirmflieger
verhinderte
mit sichtlichem Vergnügen
durch Kreisen
vor dem
Startplatz längere
Zeit, dass ich
starten konnte.
Kaum war
ich in
der Luft,
machten er
und ein Kumpel
Kampfanflüge auf
mich, bis
ich mich
entnervt vom
Hang zurückzog. In
dieser Zeit
gab es
im damaligen
Drachenfliegermagazin mehrere ähnliche
Berichte ans
diesem Fluggebiet.
Gemessen
daran ist es
doch ein
kleiner Fortschritt,
dass mörderisches
Herrenmenschengehabe nun verspielter, ignoranter Gleichgültigkeit gewichen ist.