Die Bilder lügen! Nichts lassen sie ahnen von der Dramatik des Tages. Die Idee ist schon ein paar Tage alt.
Mein letzter Skistart datiert aus der Zeit, wo am Tegelberg noch die Sessellifte existierten (die sind inzwischen nach Tschechien verkauft). Ich hatte dort im Winter als Liftmensch gejobt. Natürlich hätte ich auch, wie jeder brave Liftmensch, nach Dienstschluss einfach mit Skiern abfahren können. Dazu hatte ich aber keinen Bock! Ich wollte fliegen! Wenn ich anderntags meinen Arbeitsplatz erreichen wollte, brauchte ich Skier (zugegeben, zweimal hatte ich es auch fliegend geschafft, bei perfekten Windbedingungen! Aber hätte ich meinem Chef in die Augen schauen können mit dem Spruch: Ich konnte den Lift nicht in Betrieb nehmen, oben am Tegelberg hat der Wind gedreht!?). Also musste ich in der Regel mit Skiern starten. Sofern Zuschauer vorbeikamen, erinnere ich mich an die maßlose Begeisterung, die mich umgab. Ich erntete nur ungläubige Gesichter, wenn ich wagte, den Umstehenden zu erzählen, wie ekelhaft Ski beim Start und wie lästig Ski samt schwerer Stiefel in der Luft sind. Eine Stunde Thermik - grauenhaft! Da denkt man nur noch an's Abwerfen!
Aber die Tage hab ich es mir witzig vorgestellt, es mal wieder zu probieren, bei dem vielen Schnee! Vor allem mit der Ohrkamera!

Natürlich habe ich sofort an den Hahnenkamm gedacht. Den oberen Sessellift werden keine Fußgänger befördert, da haben sich alle treuen Hahnenkammflieger was Skiähnliches an die Füße gebaut. Beim Start verschwinden diese Teile meist im Rucksack, oder werden watschelnd eingesetzt. Der Hahnenkamm ist mein Angstberg, seit ich mich im Juni 2002 am Landeplatz zerlegt habe. Aber im Winter schreckt mich der Talwind nicht! Das sollte ich packen!

Die erste Herausforderung ist, die Talstation des Sessellifts zu erreichen. Die liegt etwa 150 Höhenmeter unter der Bergstation der Gondel. Zwei Drittel der Strecke sind problemlos, flach und breit, und auch der Schnee gut griffig. Aber dann hat man die Wahl zwischen Buckelpiste und einer etwas weniger steilen Engstelle. Ich wähle letztere. Horror! Eisplatten. Zeitweilig ziehe ich den Sack, zeitweilig lass ich ihn rollen. Bin jetzt schon fertig. Am Lift lassen mich die Skifahrer allein auf den Sessel, das Personal hilft auch. Oben komme ich gut raus. Das wäre geschafft!

Der Wind tendiert West, das heißt, man muss nach hinten, Richtung Tannheimer Tal starten. Der Startplatz beginnt sehr flach, wird dann richtig steil, aber dort schauen diverse Bäumchen raus. Geht das mit Skiern aus? Man hat ja nur die schiefe Ebene, kann keinen Druck machen. Ich schiebe das Problem vor mir her, baue in Ruhe das Kabel- gedöns der Ohrkamera zusammen. Schöne Scheiße. Meine Akkus sind wieder mal schwach, das wird nichts. Also wieder alles zusammengepackt, die Gepäcktasche im Gurtzeug platzt fast. Einfach einen Skistart, mit weniger Stress.

Ich probiere es. Der Schirm schleift hinter mir her. Im Steilen komme ich auch nicht richtig in Fahrt. Der Schirm kommt abrupt, aber schief. Startabbruch kurz vor den Bäumen. Alle Flieger helfen mir! Ich habe nur die Skier hoch- zuschaffen, und die setze ich als Handstützen ein. So habe ich nach fünfzehn Minuten einigermaßen wieder Puls und Atmung normal. Diesmal hält einer den Schirm auf und ein anderer schiebt mich! Da kommt der Schirm! Und ich lasse ihn zu weit vorkommen! Hebe zu spät ab! Über den nächsten Wipfel komme ich nicht drüber! Der biegt sich elastisch weg! Ich bin total voll Schnee, auch im Gesicht. Aber ich fliege! Nicht auszudenken, das mit Verkabelung!

Langsam ordne ich mich. Bald kann ich es etwas genießen, die Flanke hoch überm Gaichtpass zu queren, auf die Ecke bei Weißenbach zu. Da habe ich etwas Steigen, ich halte mich in ein paar Schleifen. Das Kurvenhandling mit dem Körperschwerpunkt unterm Popo ist erbärmlich. Und so richtig nach Kämpfen ist mir auch nicht.
Bis zur nächsten Ecke an der Lechtalverengung verliere ich keine Höhe, dann geht es allerdings tierisch abwärts. Ich kalkuliere schon eine Außenlandung unten am Lech vor Höfen ein. Schließlich liegt der Landeplatz genau im Gleitwinkel und das bleibt auch so. Ich lande in diesem Bereich genau in der Loipe.

Eine Stunde später zittere ich noch. Vom Skistart bin ich wohl geheilt.