Nicht ganz eine Erstbefliegung

Jeder Fliegerverein entwickelt sein eigenes Profil. Es gibt Vereine, die personenzentriert um einen „flygod“ strukturiert sind. Ich weiß einen Verein, der auch als kriminelle Vereinigung bezeichnet werden könnte. Ein anderer könnte auch als Camping-Verein durchgehen. Ein weiterer ist eine gemeinschaftliche Reisegruppe.
Hier bin ich mit einem unterwegs, der locker auch als Kleingarten-Club bestehen könnte.
Wir entbuschen einen uralten Drachenstartplatz. Ganz früher hat dort sogar schon mal eine Drachenrampe gestanden. Die Zulassung schlummert noch in den Akten. Natürlich soll der Gleitschirm-tauglich werden. In seltener Einheit erfreuen wir damit auch den Jagdausübungsberechtigten. Sein naher Hochsitz erhält durch die Aktion ein erheblich erweitertes Schussfeld.
Ein paar prächtige Gewächse fallen dabei, um die es mir fast leid tut. Aber die Startrichtung Nord bis Nordwest ist in unserer Gegend so rar, dass es jede Mühe wert ist. Ein benachbartes Gelände kaum einen halben Kilometer entfernt, würde auch NW bieten. Leider gibt sich der Geländehalter, von dem hier schon mal die Rede war, ausgesprochen wenig gastfreundlich. Als ich ihn nach Starts als Gastflieger mit Drachen frage, lügt er mir zweimal in einem Satz ins Gesicht: Man sei hier ein Gleitschirm- Verein und habe am Drachenfliegen kein Interesse und auch keine Zulassung.
Mehrere Drachen-Piloten unter seinen Vereinskameraden stehen in der Nähe. Der Startplatz Weilerkopf ist laut DHV-Geländedatenbank seit jeher auch für Drachen-Starts zugelassen. Sichere Landeplätze sind gleich drei im Gleitwinkel.
Also braucht es einen weiteren Startplatz für diese aufwindträchtige Ecke des schönen Nahetals. Der „alte neue“ ist erheblich spannender, als der benachbarte sichere, jedoch leider okkupierte. Bringt er doch einen Klippenstart mit Abflug knapp über die Baumwipfel.
Heute bläst kräftiger Nordwest. Rückseite nach Kaltfront-Durchgang. Zu viel Nord-Einschlag für Weiler. Also schaue ich zum Hindenburgblick. Kein Gleitschirm-Flieger ist in der Luft, den ich stören könnte. Der Wind kommt genau durch die Schneise herauf. Ich baue in Ruhe auf. Dann gehe ich mit dem Drachen auf den Schultern an die Kante und fühle die Anströmung. Es fühlt sich gut an, aber ich bleibe unschlüssig, ob ich ohne eine „zur Hilfeleistung fähige und bereite Person“ einen Startversuch wagen soll. Dann kommt Bernd und zückt seine Kamera. Ich stürze mich in den kräftigen Wind und steige sofort.
Vor der fast senkrechten Geländekante kann ich mich mühelos halten. Ich fliege auf Besuch zum benachbarten Gelände und sehe wartende Piloten. Niemand hat seinen Schirm ausgepackt. Winkend grüße ich. Man winkt zurück. Ich komme auch mit wenig Mühe zurück. Eine knusprige Viertelstunde tanze ich im Aufwindband herum. Für Thermik ist der Nachmittag schon zu weit fortgeschritten. Eine dunkle Schauerwolke mit Fallstreifen nähert sich schnell. Sie macht den Wind zunehmend böig und ungemütlich. Die Perspektive vom benachbarten Startplatz und eine völlig richtige Wettereinschätzung sind als Video veröffentlicht.
Ich fliege entschlossen zur Landung auf den großen Wiesen hinter dem Startplatz auf der Höhe.
Ich hoffe sehr, dass aus den vielen offensichtlichen Kompromiss-Möglichkeiten um diese schöne Gegend, eine gefunden wird, die allen Tuchfliegern, mit und ohne Alu Wege in die Luft eröffnet.
Meinerseits werden Flüge hier Seltenheitswert beibehalten. Vielleicht sollte ich wieder öfter an den Tegelberg fahren. Der geht auch bei N-NW.
Kurz vor Sonnenuntergang - ich habe meinen Drachen schon wieder auf dem Autodach - ist der Wind so weit abgeflaut, dass ein paar Gleitschirme noch schön fliegen können. Drachen und Gleitschirm geht mal wieder und auch hier gut zusammen.
WinDfried (Mitte Juni 2009)