Nordwind-Woche

Eine ganze Woche Nordwind liegt hinter uns. „Nordwind heißt weit fahren“ habe ich schon vor langer Zeit konstatiert. Sehr selten hält eine Nordlage so lange an. Darum sind Nordgelände Stiefkinder, die selten gebraucht werden. Sie sind auch schwer zu erschlie- ßen, weil Nordhänge als Schatten- und Schlechtwetter-Seite fast überall dicht bewaldet sind und sich großflächiges Kahlschlagen verbietet.
So stürmen dann aus den Ballungsgebieten zwischen Bonn über das Ruhrgebiet bis Dortmund helle Scharen Gleitschirmsportler an die Nordhelle. Die wenigsten davon haben jemals eine Säge oder Sense in die Hand genommen, um ein Fluggelände zu pflegen. Aber fliegen wollen alle und sorgen für klaustrophobische Zustände. Dicht über Baumwipfeln und knapp zusammen mit anderen Fliegern müssen im dortigen engen Aufwindband alle fliegen, um oben zu bleiben. Wenn dann ein einzelner sich auffällig macht, durch eine missliebige Aufschrift im Gleitschirm, wird ein zum Erfolg führender Flugstil zum Anlass für eine Verbannung. Die ist nicht so schlimm für den Betroffenen, liegt doch wenige Autominuten entfernt, wenn auch im anderen Bundesland, gleich der nächste Flugberg für Nord, sogar mit Seilbahn. Flugsicherheit ernst genommen, müsste man an einem Wochenendtag von anwesenden 60 startwilligen Freifliegern und 30 Flugschülern nicht einen einzelnen, sondern ein Drittel oder die Hälfte aller vom Berg weiterschicken ...
Wir hier in Pfalz- und Naheland sind auch bedroht von Anstürmung von Massensportlern mit schlechter Ausbildung und wenig Übung aus dem Ballungsraum Rhein-Main. Darum zögere ich schon eine ganze Weile, überhaupt etwas über das abgebildete hochsensible Fluggelände ins Internet zu schreiben.
Der schon erwähnte „Kleingarten- und Flieger-Club“ hat hier mit viel Mühe und Diplomatie ein Kleinod geschaffen. Jetzt zahlt sich für mich aus, dass ich extra zur Erlangung der Mitgliedschaft hier eine Gleitschirm- Lizenz erworben habe, obwohl ich die verleugnende Art mit der dieser Sport als „harmloses Urlaubs- und FreizeitVergnügen“ vermarktet wird, auf´s tiefste ablehne.
Gleichwohl, Drachenfliegen ist ernsthafter, keine Massensportart, zudem viel sicherer. Und: Von fast jedem Gleitschirm-Startplatz kann man auch mit einem Drachen starten.
Es gibt hier Parkplatz für höchstens fünf Autos, und die Startschneise bietet Fläche für genau einen ausgelegten Gleitschirm. Ein startbereiter Atos hat links und rechts noch je knapp 2 m Freiraum zum Kirschbaumgebüsch. Die Startrichtung ist NNO, aber der Hang, über dem sich das Aufwindband bildet, schaut eher nach NNW. Die Stelle mit dem besten Steigen liegt ausgerechnet über dem Mast einer Starkstromleitung.
Alles nicht einfach, und erfolgreiches Fliegen bedeutet hier, bei Seitenwind - und davon etwas mehr - in die Luft zu gehen. Darum sind am Wochenende Gastflieger hier nicht willkommen. Ernsthafte Aspiranten auf eine zukünftige Vereinsmitgliedschaft, oder Mitglieder benachbarter geländehaltender UND gastfreier Vereine erhalten unter der Woche aber durchaus eine ausführliche Gelände-Einweisung. Probeflug und Fahrdienst sind dann im zu entrichtenden Tagesmitgliedsbeitrag (5 €) enthalten.
Jede Landung ist eine „Außenlandung nach einem Überlandflug“, was den B-Schein erforderlich macht. Dafür funktioniert der 100 m Buckel aber tatsächlich gelegentlich als Ausgangspunkt für beachtliche Streckenflüge ...
An Samstag pustet der Wind knackig. Die Kaltfront ist in der Nacht gerade erst durch gezogen. Drachenwetter. Kein Gleitschirmflieger ist in der Nähe. Ich baue auf und fühle mich zuerst unbehaglich, wenn die Böen am Flügel auf meinen Schultern zerren. Meine Laune hellt sich auf, als ich einen Strahl Sonne erspähe. Dann kommt eine laminare Minute zum Starten. Eine lange Stunde soare ich mühelos über dem idyllischen Panorama hin und her und genieße den Ausblick auf den Roterfels, die Ebernburg, Dorf, Kirchen und Stausee im Tal und den Fernblick nach Roxheim und zum Hunsrück.
Ich fummele auch die Kamera heraus und knipse von oben die Baustelle im Skulpturen-Garten und die Werkstatt des Künstlers, der Bücher aus Stein macht.
Man baut ihm seit kurzemein Museum.
Vor einigen Monaten sah der Skulpturen-Garten noch so idyllisch aus wie auf den älteren Fotos.
Am Startplatz sehe ich dann doch ein bekanntes Gleitschirmflieger - Auto vorfahren. Weil ich ein Schwätzchen halten will, lande ich hinter der Waldkante top.
Sowieso nähert sich ein Regenschauer. Ich bekomme den Drachen gerade noch rechtzeitig in den Regenpacksack.
Am Sonntag ist der Wind dann fast eingeschlafen. Zeit für ein paar ruhige Abgleiter mit dem Gleitschirm in fröhlicher Gesellschaft.
WinDfried (Samstag / Sonntag 17. / 18. Oktober 2009)