Zu spät am Watles

Weiter geht´s mit der Runde des doppelten Vereinsausflugs. Meine lieben Siebengebirgler sind ganz anders drauf als der „Camping-Verein“ DGCN. Man sucht sich in einem bombastischen Fluggelände eine angenehme Herberge und fliegt was geht.
Kultur, Landschaftserleben, Landeskunde und feines Essen und Trinken kommen auch nicht zu kurz. So ist es auch für mitreisende Fußgänger attraktiv dabei zu sein.
Das hat im Ennstal im Hotel mit eigener Landewiese sehr gut geklappt. Diesmal soll es am Südausgang des Reschenpass der Flugberg Watles sein.
Sehr früh im Jahr wurden hier laut dhv-xc in den letzten Jahren schon große Dreiecke erflogen. Der Vinschgau ist ein alpines Quertal vergleichbar mit dem Drautal, oder dem Wallis. Allerdings wird auf dem dem Talboden großflächig Apfelanbau betrieben, was die Landemöglichkeiten schrecklich einschränkt.
Der untere Startplatz liegt komfortabel direkt neben einem schönen Hotel im Bergdörfchen Prämajur.
Als ich eintreffe ist noch nicht viel gegangen. Der obere Vinschgau ist ein Nord-Föhn-Strich. Die vorherrschende Nordwestlage, eigentlich eine Garantie für lebendige Frühlingsthermik, macht hier alles schwieriger.
Am Tag mit der besten Vorhersage seither komme ich an und will natürlich sofort was großes fliegen. Die Talinversion allerdings reicht bis über Startplatzhöhe hinauf. Das ist deutlich sichtbar. Dafür hat es wenigstens keinen Rückenwind am Start.
Andere sind sportlicher. Ein Geländefahrzeug fährt einen großen Haufen Schirm-Packsäcke zum oberen Startplatz knapp unter dem Watles-Gipfel. Die zugehörigen Piloten wandern knapp zwei Stunden hinterher.
Wer eine startbare Phase erwischt, bekommt einen langen, hohen Flug mit Blick von oben auf die Ötztaler Alpen und die imposante Ortlergruppe.
Allerdings reißt niemand den Südkantenritt durchs Vinschgau, bis Meran und zurück.
Das bedächtige Fazit eines unserer Streckenflieger lautet: „Hier ist die Saison schon vorbei. Die Post geht im Vinschgau im März und April ab!“
Auch ich bin zu spät für Kutschfahrt und Wanderung. Stattdessen fliege ich mit meinen drei Flügeln je einen verlängerten Abgleiter und freue mich über drei Punktlandungen. Ja, auch mit dem Gleitschirm. Schließlich muss ich meine 10 Flüge in drei Jahren zusammen bringen, damit ich die „regelmäßige fliegerische Übung“ laut DHV zum Erhalt der Lizenz nachweisen kann. Beim Gleitschirm-Start bekomme ich besonders reichlich freundliche Hilfe. Vielen Dank!
Fotos knipsen liebe Vereinskameraden in Hülle und Fülle. Darunter auch echte Meisterschüsse, wie mein Zuckerzitrönchen über dem Kirchturm von Malsch im Vinschgau. Danke liebe Ariane K., Klaus G., Guido H. und Euch allen anderen!
Die eigene Kamera zücke ich erst, als ein anderes Team einen „Malibu“ aufbaut.
Der neueste Einfachsegler-Drachen am Markt ist also nicht nur für das Dünenfliegen an australischen Küsten geeignet. Die Firma Moyes, sonst nur für lebensgefährliche Wettkampfschwalben berühmt, hat hier ein richtig feines Vögelchen herausgebracht. Die paar Segellatten sind schneller eingeschoben, als man Gleitschirmleinen sortieren kann. Flügelspitzen ohne Randbögen sind erheblich weniger anfällig für Schäden bei verpatzten Landungen.
Die Pilotin hat das Gerät wohl als Zweitvogel. Beim Wettkampfgurtzeug, Halbschalen-Helm, der Wahl der Bügelräder, der Bordelektronik und des Schuhwerkes ist schon ein gehobener Anspruch erkennbar. Ich komme mit ihrem Begleiter in ein nettes Gespräch und begreife schnell, dass hier Fliegerprominenz inkognito aufgetaucht ist. Vor mir steht der Konstrukteur des Gerätes höchstpersönlich, Gerolf Heinrichs.
Schön, dass er sich für die Bedürfnisse der Freizeitflieger auch interessiert und nicht ausschließlich im Wettkampfzirkus herum hängt.
Die Pilotin startet, gleitet durch unbewegte Luft, pokert hoch, auf einen bekannten Bart am nächsten Berg und verschwindet hinter einer Waldkante. Gerolf erhält ihre Landemeldung und macht den Abholer.
Auch ich starte hinterher und reiße nichts großes.
Immerhin treffe ich stehend die einzige gemähte Wiese ohne Wasserspreng-Anlagen, die ich mir zuvor ausgeguckt hatte. Um der Einsamkeit zu entgehen, trage ich den Drachen über die Straße zu meinen Vereinskameraden am beengten Gleitschirm-Landeplatz hinter einer Kapelle. Dabei entsteht das witzige Foto „Weiße Schildkröte auf Hauptverkehrsstraße“.
Am übernächsten Tag stehen beim Frühstück wieder Wellenwolken über den Ortler-Gipfeln. Ich streiche das Abschiedsflüglein und wir fahren sofort zum Tegelberg.
Dort gibt es wieder richtig Drachen-Action, über die Manni dann erschöpfend berichtet.
WinDfried (Dienstag 26. Mai 2009)